Kofferraum-Inspiration

Kofferraum-Inspiration

Es gibt Tage wie diese, an denen die beste Idee nicht dem eigenen Kopf entspringt, sondern – etwas entfernt – in den Kofferräumen der anderen liegt.

Es ist kein echter Druck, den ich spüre, eher eine unbestimmte Lust. Der Moment, da ich mich – ausgerüstet mit einer Kanne Kaffee – in meinen Wagen setze, den Motor anlasse und auf den Baumarkt-Parkplatz fahre. Um mir die Schönste rauszupicken. O nein, hier geht es nicht um Chauvinismus. Es geht um Inspiration der allerfeinsten Sorte. Denn der Parkplatz eines Baumarkts ist ein gewaltiger Coworking-Space unter freiem Himmel. Hier arbeiten die besten Köpfe, die eine Stadt zu bieten hat – und wissen es meist nicht. Die Dinge, die hier in die weit geöffneten Kofferräume geschoben, gewuchtet und gepresst werden, sind Treibstoff für meine Kreativität. Solche Ausflüge sind mir zum geliebten Ritual geworden.

Ich erinnere mich noch gut an mein erstes Mal, das war vor drei Jahren. Ich wollte «nur» Schleifpapier für die Terrassenmöbel besorgen. Ein Vorschlaghammer, den ein Typ als Beute aus dem Baumarkt schleppte, inspirierte mich dann zum Wanddurchbruch in der Küche – gesehen, getan. Seither verstehe ich uns Macher als Team für die eine, die ganz grosse Sache: als ehrenamtliche Coaches, als Inspirationsquellen für das nächste Projekt.

Der Baumarkt-Parkplatz ist ein gewaltiger Coworking-Space unter freiem Himmel.»

Tim Gutke

Heute vollziehe ich wieder mein Ritual, weil meine eigene Kreativität einen kleinen Hänger hat. Ich suche mir wie immer einen Parkplatz weit weg vom Eingang, giesse mir eine Tasse Kaffee ein. Nehme einen Schluck, dann schlendere ich mit wachem Blick durch die Parkreihen Richtung Eingang. Inspiration, ich bin bereit! Wo bist Du?

Parkplatz-Begegnungen

Der Typ im blauen Kombi? Ganz offen blicke ich rüber, wie er den Fond seines Wagens belädt. Auf diesem Parkplatz ist es nicht wie in einem Restaurant, wo man verstohlen den Kellner fragt, was denn da am Nachbartisch verzehrt wird. Hier sind wir eine Familie. Ich sehe Holzpaneele. Das könnte alles werden, bei Holz sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. «Gartenlaube?», rufe ich rüber. Meine unerwartete Ansprache scheint ihn ein wenig zu überrumpeln. «Geht dich gar …», setzt er an, «… nee, für die Hauswand», lenkt er ein. Wohl ein Frischling im Parkplatz-Coworking-Business. Aber am Ende sprechen wir Handwerker eben doch eine Sprache. Kurz überlege ich, ob ich ihn fragen soll, ob er Hilfe gebrauchen kann. Bei der Wand, klar. Ich liebe Holzarbeiten. Ich entscheide mich dann doch dagegen, ich will mich nicht noch mehr aufdrängen. Und eigentlich bin ich ja auf der Suche nach meinem eigenen Projekt. Weiter geht’s.

Das Pärchen mit dem Leihtransporter? Gerade als ich ihren Parkplatz passiere, erreichen beide mit einem gewaltigen Einkaufswagen die Schiebetür ihres Fahrzeugs. Während sie verliebt turteln und er sie mit einer Celentano-Gesangseinlage erheitert – Italiener, schätze ich –, riskiere ich einen Blick auf ihre Ausbeute. Eine Menge Wasserrohre, Verbindungs- und T-Stücke. Ein Hausbau, denke ich und höre es mich im selben Moment auch sagen. Während sie offenbar kein Interesse an einer interkulturellen Zusammenarbeit hat, steigt er voll ins Gespräch ein. «Nein, viel geiler, echt», sagt er in leicht gebrochenem Deutsch. «Das wird ein Regal aus Wasserrohren. Bretter habe ich schon.» Seine Begleitung scheint die Begeisterung für das Projekt nicht ganz zu teilen und steigt augenverdrehend in die Fahrerkabine. Er hingegen kramt eine wilde Zeichnung aus der Hosentasche. Nach einem kurzen Blick auf das Papier sehe ich schon: Die Nummer wird so nix. «„Gute Idee, aber Du hast die Höhe der Verbindungsstücke nicht eingerechnet», sage ich und gebe ihm die Zeichnung zurück. Er schaut mich an, dann den Zettel. «Grazie mille», sagt er und reicht mir die Hand. Dafür nicht. Ich schlendere weiter.

Danke, Ihr Macher

Vielleicht ist es die alte Dame mit dem SUV? Versteckt sich da meine Inspiration? Gemächlich schiebe ich meinen Körper in Richtung des automobilen Ungetüms. Gerade lässt sie sich von zwei Mitarbeitern Topfpflanzen und säckeweise Dünger ins Heck ihres Wagens laden. Ich nicke freundlich und stelle mich etwas abseits. Wandverkleidung, denke ich. Wasserleitungen, denke ich. Pflanzen, denke ich. Natürlich. Manchmal braucht es eben drei Begegnungen für einen genialen Einfall. Das Kofferraum-Tetris der anderen – stopfen, stapeln, Spass dabei – hat mich auch heute nicht im Stich gelassen.

Mein Entschluss steht fest: Ich werde einen vertikalen Indoor-Garten bauen. Die leere Wand im Flur war mir schon immer ein Dorn im Auge, besser noch: eine freie Lücke auf meiner To-do-Liste. Das nötige Material: in greifbarer Nähe in den Regalen des Baumarkts. Die Inspiration dazu: das Ergebnis einer der effizientesten Arten der Zusammenarbeit. Danke, Ihr Macher.

Autor Tim Gutke, Meister der handwerklichen Selbstüberschätzung

Mehr zum Macher

Tim Gutke, 41, ist Autor und Meister der handwerklichen Selbstüberschätzung. Eigentlich kann er alles ein wenig, doch manchmal eben ein wenig zu wenig. Das fällt immer dann auf, wenn Stehbolzen im Zylinderkopf abreissen oder Bäume in Gartenlauben krachen.

Voller Vorfreude rufe ich meine Freundin an, um sie auf die neue Projektreise mitzunehmen. «Willst Du», fragt sie, «mit Deinem wiedergefundenen Tatendrang nicht lieber den Siphon im Bad richten, der schon seit Wochen tropft?» Komisch, an diese Baustelle hatte ich gar nicht gedacht. Erfolgreich verdrängt. Verdammt. Ein Siphon – wie unglamourös. Als ich mich umdrehe, um zum Eingang zu gehen, lädt ein freundlich schauender Mittdreissiger gerade etwas bedröppelt ein Waschbecken, Anbauteile und einige Tuben Silikon ins Auto. «Die Frau?», frage ich. Er schaut mich an und nickt. «Die Frau». Wir verstehen einander. Verkannte Genies. Macht aber nichts. Denn jetzt hab ich sogar zwei Projekte.

Text: Tim Gutke | Foto: Getty Images, Porträtfoto: Tim Gutke

Weiter machen